Nutzungsuntersagung Betrieb OVG NRW 7 A 2135/06

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Nutzungsuntersagung Betrieb OVG NRW 7 A 2135/06

Beitrag von Klaus » 24.10.2008, 10:22

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen als Gesamtschuldner.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:
1

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Gemarkung T. , Flur 22, Flurstück 80/13 (L.-----straße 28). Das Grundstück ist mit einem unmittelbar an die L.- ----straße angrenzenden Gebäude (II + DG) bebaut. Das Gebäude wurde um 1900 errichtet und ursprünglich als Gaststätte genutzt. Die Kläger sind seit 1988 Eigentümer des Grundstücks. Das Gebäude wird im Erdgeschoss gewerblich (Büro- und Lagerräume eines Malerbetriebes) und im Übrigen für Wohnzwecke genutzt. An der der Straße abgewandten Seite schließt sich ein zweigeschossiger Anbau (mit Flachdach) an, der bis zur hinteren Grundstücksgrenze reicht. Zwischen dem Gebäude bzw. dem Anbau und der östlichen Nachbargrenze (zum Flst. 14) verläuft eine etwa 3,50 m breite Zufahrt, über die das Flurstück 79/13 erschlossen wird.
2

Der Beigeladene ist Eigentümer des Flurstücks 79/13 (L.-----straße 30). Dieses Grundstück ist von der L.-----straße durch das Grundstück der Kläger getrennt. Das Grundstück des Beigeladenen hat zunächst auf einer Tiefe von 10 m eine Breite von knapp 7 m, danach verbreitert es sich auf etwa 14,5 m. Entsprechend dieses Versprungs verengt sich das Grundstück der Kläger. Beide Grundstücke standen ursprünglich im Eigentum der Eheleute H. . Zur Sicherung der Erschließung des Flurstücks 79/13 bewilligten die früheren Eigentümer beider Grundstücke zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Flst. 79/13 eine Grunddienstbarkeit (Wegerecht), welche auf dem Grundbesitz der Kläger lastet.
3

Auf dem Grundstück des Beigeladenen - und zwar auf dem etwa 14,5 m breiten rückwärtigen Teil - befindet sich der gegen Ende des 19. Jahrhunderts errichtete ehemalige Tanzsaal der Gaststätte. Auf dem schmaleren vorderen Grundstücksteil wurde ein Vorbau zu diesem Tanzsaal errichtet. Dieser - ursprünglich eingeschossige - Vorbau grenzt unmittelbar an den Anbau auf dem Grundstück der Kläger. Seit Ende der 1950er Jahre wurde von dem Voreigentümer H. in dem ehemaligen Tanzsaal eine Schreinerei betrieben (daher im Folgenden: Schreinereigebäude). Ein Antrag des Voreigentümers auf Umnutzung in eine Schreinerei wurde im Jahre 1962 von der seinerzeit zuständigen Bauaufsichtsbehörde abgelehnt. Am 1. Oktober 1980 übernahm der Beigeladene den Schreinereibetrieb von dem Voreigentümer.
4

Mit Schreiben vom 31. Oktober 1996 teilten die Kläger dem Beklagten mit, der Beigeladene habe den Vorbau zum eigentlichen Schreinereigebäude baulich verändert. Durch Aufmauern einer ca. 2 m hohen Wand sei aus einer Terrasse ein Raum geworden. Dadurch werde in den Räumen ihres Anbaus der Lichteinfall reduziert. Etwa 40 cm vor ihrem Fenster sei rechtwinklig ein Fenster oberhalb des Eingangs zur Schreinerei entstanden.
5

Den Antrag des Beigeladenen auf nachträgliche Legalisierung dieser Baumaßnahme lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Dezember 1997 ab. Zur Begründung führte er unter anderem aus, die Nutzung des Gebäudes als Schreinerei sei formell illegal. Da sich die Schreinerei in einem allgemeinen Wohngebiet befinde, sei diese Nutzung auch nicht genehmigungsfähig. Auf Beseitigung werde jedoch verzichtet, weil der Betrieb bereits seit über 40 Jahren bestehe. Weiter teilte der Beklagte dem Beigeladenen mit, die "Dacherneuerung" werde geduldet, wenn u.a. die im Grundriss bezeichneten Wände in der Feuerwiderstandsklasse F 90 AB ausgebildet würden und die geplante Öffnung im Dachgeschoss soweit zurückgesetzt werde, dass zwischen der vorhandenen Öffnung des Gebäudes L1. . 28 und der geplanten Öffnung ein Diagonalabstand von mindestens 3 m entstehe.
6

Mit Schreiben vom 10. Juli 1998 teilte der Beklagte dem Beigeladenen mit, er beabsichtige, ihm durch Ordnungsverfügung aufzugeben, die Fensteröffnungen zu schließen und die Wand in der Feuerwiderstandsklasse F 90 AB herzustellen. Zum Erlass dieser Ordnungsverfügung ist es in der Folgezeit nicht gekommen.
7

Mit Schreiben vom 10. August 1998 baten die Kläger den Beigeladenen wegen der von dem Betrieb des Beigeladenen ausgehenden "Belästigungen bzw. Gefahren" um Abhilfe. Unter anderem machten sie geltend, der Betrieb des Beigeladenen sei kein nicht störender Handwerksbetrieb und die Eingangstür zum Schreinereibetrieb entspreche nicht den brandschutzrechtlichen Bestimmungen.
8

In der Folgezeit kam es zu einem intensiven Schriftwechsel zwischen den Beteiligten wegen der von dem Betrieb des Beigeladenen ausgehenden Immissionen. Eine Schallpegelmessung des damaligen Staatlichen Umweltamtes L2. ergab, dass die von den einzelnen Arbeitsmaschinen des Schreinereibetriebes erzeugten Schalldruckpegel insgesamt am Wohnhaus der Kläger nicht zu einer Überschreitung eines Immissionsrichtwertes von 55 dB(A) führen. Richtwertüberschreitungen seien jedoch durch das Be- und Entladen im Bereich der Zuwegung zum Schreinereibetrieb zu erwarten. Aufgrund des geringen Abstandes zwischen Verladebereich und nächstgelegenen Wohnraumfenstern von ca. 3 bis 5 m könne auch bei üblicher Verladetätigkeit nicht davon ausgegangen werden, dass der Richtwert hinsichtlich der kurzzeitigen Geräuschspitzen eingehalten werden könne.
9

Unter dem 26. April 2002 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen eine Baugenehmigung zur "Errichtung einer Schreinerei". Hiergegen legten die Kläger Widerspruch ein.
10

Am 3. September 2002 beantragten die Kläger bei dem Beklagten, dem Beigeladenen die Beseitigung des Schreinereigebäudes aufzugeben, hilfsweise ihm die Grundstücksnutzung für einen Schreinereibetrieb zu untersagen. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus, der formell und materiell illegale Betrieb verletze wegen seines Immissionsverhaltens Nachbarrechte.
11

Am 17. Dezember 2003 haben die Kläger sowohl wegen der Baugenehmigung als auch wegen des begehrten Einschreitens bei dem Verwaltungsgericht Köln Untätigkeitsklage erhoben.
12

Mit rechtskräftigem Urteil vom 21. September 2005 (Az. 8 K 9613/03) hat das Verwaltungsgericht die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung aufgehoben.
13

Zur Begründung des abgetrennten und unter dem Az. 8 K 9929/03 fortgeführten Verpflichtungsbegehrens haben die Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, sie hätten sich umgehend gegen die sog. Dacherneuerung gewandt. Eine Verwirkung scheide daher jedenfalls insoweit aus. Der aufgestockte Bereich werde als Büro- und Aufenthaltsbereich genutzt und stelle einen Teil der Gesamtanlage dar. Die Bauaufsichtsbehörde sei daher gehalten, den vollständigen Abriss anzuordnen. Als bauordnungswidrig erweise sich insbesondere der im Rahmen des Dachgeschossausbaus vorgenommene Einbau von Fenstern. Unter Brandschutzgesichtspunkten gehe von dem Betrieb des Beigeladenen eine erhebliche Gefahr aus. Ferner liege ein Verstoß gegen die Abstandvorschriften vor. Die Dacherneuerung sowie die Umbaumaßnahmen im Dachgeschoss seien innerhalb der Mindestabstandfläche von 3 m erfolgt.
14

Die Kläger haben beantragt,
15

den Beklagten zu verpflichten, dem Eigentümer des Grundstücks Gemarkung T. , Flur 22, Flurstück 79/13 (L.-----straße 30) durch sofort vollziehbare Ordnungsverfügung aufzugeben, das dort befindliche Schreinereigebäude zu beseitigen sowie gegenüber eventuell vorhandenen Mietern bzw. Pächtern ebenfalls durch sofort vollziehbare Ordnungsverfügung die entsprechende Duldungsverfügung auszusprechen;
16

hilfsweise,
17

den Beklagten zu verpflichten, dem Betreiber der Schreinerei auf dem Grundstück Gemarkung T. , Flur 22, Flurstück 79/13 (L.-----straße 30), gegenwärtig der Firma K. I. , durch sofort vollziehbare Ordnungsverfügung die Grundstücksnutzung für einen Schreinereibetrieb zu untersagen.
18

Der Beklagte hat beantragt,
19

die Klage abzuweisen.
20

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
21

Mit Urteil vom 22. März 2006 hat das Verwaltungsgericht Köln die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kläger hätten keinen Anspruch auf Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde. Der Schreinereibetrieb des Beigeladenen sei zwar bauplanungsrechtlich in der durch Wohnbebauung geprägten näheren Umgebung unzulässig. Der Betrieb habe sich jedoch bereits zum Zeitpunkt des Grundstückserwerbs der Kläger als ein typischer Schreinereibetrieb dargestellt. Die Kläger hätten sich folglich in Kenntnis der Umstände in diese nachbarschaftliche Situation begeben. Der Beigeladene könne daher gegenüber den Klägern jedenfalls verlangen, dass der bis dahin langjährig durch den Beklagten geduldete Bestand des Betriebes erhalten bleibe. Den Klägern stehe auch weder unter Brandschutzgesichtspunkten noch wegen eines Verstoßes gegen das Abstandrecht ein Abwehranspruch zu. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
22

Auf den Antrag der Kläger hat der Senat mit Beschluss vom 12. April 2007 die Berufung zugelassen.
23

Die Kläger begründen ihre Berufung im Wesentlichen wie folgt:
24

Seit Erwerb ihres Grundstücks im Jahr 1988 habe sich der Betrieb des Beigeladenen, was Personal- und Maschinenbestand angehe, immer wieder verändert. Die betriebliche Entwicklung habe sich jeglicher behördlicher Kontrolle entzogen. Da es um Leben, Gesundheit und Eigentum der Kläger gehe, komme ein Verzicht auf oder eine Verwirkung von Nachbarrechten nicht in Betracht.
25

Aufgrund der im Obergeschoss des Betriebsgebäudes vorgenommenen Umbaumaßnahmen (sog. Dacherneuerung) stelle sich die Abstandflächenfrage für alle Teile des Betriebes von neuem. Auf die Privilegierung des § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b BauO NRW könne sich der Beigeladene nicht berufen, weil das Schreinereigebäude das Gebäude der Kläger weit überrage.
26

Zudem werde die spezielle brandschutzrechtliche Abstandvorschrift des § 33 Abs. 6 BauO NRW verletzt. Es sei nicht ausreichend, die Fensterkonstruktion teilweise zu beseitigen und durch eine Wandscheibe (mit Feuerwiderstandsklasse F 90) in Verlängerung der Wand des klägerischen Gebäudes zu ersetzen. Der Bereich des Balkons bilde mit dem als Büro bzw. Lager genutzten Raums einen Brandabschnitt, weil beide Gebäudeteile über eine gemeinsame Dachkonstruktion verbunden seien. Es sei auch nicht gewährleistet, dass die Eingangstür der Schreinerei im Brandfall die notwendige Standsicherheit biete.
27

Die Kläger beantragen,
28

das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
29

Der Beklagte beantragt,
30

die Berufung zurückzuweisen.
31

Seit dem Erwerb des Wohnhauses durch die Kläger im Jahr 1988 habe keine wesentliche Nutzungsintensivierung des Schreinereibetriebes stattgefunden. Ausweislich der behördlichen Akten habe der Betrieb 1983 einen Gesellen sowie einen Auszubildenden beschäftigt. Zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung habe der Betrieb zwei Beschäftigte gehabt. Dass im Laufe von über zwei Jahrzehnten Maschinen eines entsprechenden Handwerksbetriebes ausgetauscht oder erneuert werden müssten, liege in der Natur der Sache.
32

Es sei zwar richtig, dass nicht bestätigt werden könne, dass die Tür im Eingangsbereich hinreichend fest im Mauerwerk verankert worden sei. Daraus könne jedoch nicht der Schluss gezogen werden, die Tür weise nicht die nötige Standsicherheit auf. Hinsichtlich des Dachaufbaus der Schreinerei habe der Brandsachverständige C. ausgeführt, eine Übertragung von Feuer und Rauch sei nicht zu befürchten.
33

Ein Verstoß gegen Bestimmungen des Abstandrechts liege nicht vor. Bei der Grenzbebauung des Beigeladenen handele es sich im Vergleich zu der Grenzbebauung der Kläger lediglich um eine unbeachtliche Mehrbebauung. Im Übrigen sei § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b BauO NRW hier anwendbar. Das bestehende ehemalige Saalgebäude sei zweigeschossig an den ebenfalls zweigeschossigen Wohnhausanbau der Kläger angebaut. Die gegenseitige Grenzbebauung belaufe sich auf eine Länge von ca. 3,5 m. Das ehemalige Saalgebäude gehe dabei an der westlichen Grundstücksgrenze ca. 3 m über das Gebäude der Kläger hinaus. Entlang der gemeinsamen westlichen Grundstücksgrenze (Innenhof der Kläger) liege ebenfalls eine vollständige gegenseitige Grenzbebauung vor.
34

Der Beigeladene beantragt,
35

die Berufung zurückzuweisen.
36

Er trägt vor, die Nutzungsintensität (Anzahl der Mitarbeiter) sei seit 1988 konstant. Die oberhalb des Eingangsbereichs befindliche Fensteröffnung habe er mittlerweile zugemauert. Ein Verstoß gegen das Abstandrecht liege nicht vor. Die Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW sei auch dann erfüllt, wenn - wie hier - das streitige Vorhaben in Höhe- und Tiefenerstreckung nicht weitgehend der Bebauung auf dem Nachbargrundstück entspreche. Im Übrigen hätte die Kläger selbst nach 1996 - also nach der Dachanhebung durch den Beigeladenen - eine Erhöhung vorgenommen.
37

Der Berichterstatter des Senats hat das Betriebsgebäude des Beigeladenen am 30. Juli 2007 in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Niederschrift verwiesen.
38

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie der Gerichtsakten 8 K 9613/03 des Verwaltungsgerichts Köln sowie 7 C 364 und 420/97 des Amtsgerichts C1. verwiesen.
39

Entscheidungsgründe:
40

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
41

Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte gem. § 61 Abs. 1 BauO NRW dem Beigeladenen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Beseitigung des Schreinereigebäudes aufgibt (Hauptantrag) oder ihm die Nutzung dieses Schreinereigebäudes untersagt (Hilfsantrag). Eine Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften des Baurechts zu Lasten der Kläger, aus der sich ein dahingehender Anspruch ergeben könnte, liegt nicht vor (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
42

Der im Jahr 1996 auf dem Grundstück des Beigeladenen im Dachgeschoss des vorderen Gebäudekomplexes vorgenommene Umbau verstieß allerdings gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 31 Abs. 4 BauO NRW. Nach dieser Vorschrift sind Öffnungen - dazu gehören auch Fenster - in Gebäudeabschlusswänden ohne Ausnahme unzulässig. Gebäudeabschlusswände sind u.a. bei Gebäuden herzustellen, die weniger als 2,50 m entfernt von der Nachbargrenze entfernt errichtet werden (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW). Bei dem streitigen Umbau wurde die nordöstliche Außenwand des Vorbaus zum eigentlichen Schreinereigebäude erhöht und oberhalb des Eingangs zur Schreinerei ein Fenster eingebaut; später wurde das Fenster entfernt und im Gebäudeinneren eine um etwa 1,30 m von der Außenwand bzw. der Grundstücksgrenze zurückversetzte Wand mit doppelflügeliger Glastür errichtet. Da die Außenwand im Bereich des Eingangs zur Schreinerei unmittelbar an der Grenze zum Grundstück der Kläger steht und damit nicht in einem Abstand von mindestens 2,50 m zu dieser errichtet ist, handelt es sich um eine Gebäudeabschlusswand. Eine Öffnung oberhalb des Eingangs zur Schreinerei - auch als Fenster oder (verglaste) Tür - ist daher nach § 31 Abs. 4 BauO NRW unzulässig.
43

Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist das Ermessen des Beklagten jedoch nicht dergestalt verdichtet, dass die Kläger wegen des Verstoßes gegen § 31 Abs. 4 BauO NRW einen Anspruch auf Erlass einer Ordnungsverfügung gegenüber dem Beigeladenen haben. Der Beigeladene hat den bauordnungswidrigen Zustand im Wesentlichen beseitigt. Wie sich aus den von ihm vorgelegten Fotos ergibt, hat er die streitige Öffnung zugemauert. Zwar hat der Beklagte mitgeteilt, dass der aktuelle Zustand noch nicht vollständig einer Brandwand entspreche, weil minimale Ritzen vorhanden sind, die durch Aufbringung eines Putzes geschlossen werden müssen. Der Beigeladene hat sich jedoch bereit erklärt, die Wand zu verputzen, wenn ihm die Kläger das Aufstellen eines Gerüstes in der Auffahrt erlauben. Bei dieser Sachlage ist aber - das noch zu erteilende Einverständnis der Kläger vorausgesetzt - davon auszugehen, dass der bauordnungswidrige Zustand auch ohne ein Tätigwerden des Beklagten in Kürze beseitigt wird.
44

Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht haben, der Beigeladene könne die Öffnung jederzeit wieder herstellen, ergibt sich hieraus keine andere rechtliche Beurteilung. Der bauordnungswidrige Zustand ist jedenfalls jetzt (nahezu) beseitigt, so dass für den Beklagten keine Veranlassung zum Einschreiten besteht. Über zukünftig eventuell bestehende Ansprüche der Kläger auf ein Einschreiten des Beklagten hat der Senat nicht zu entscheiden.
45

Hinsichtlich des Eingangsbereichs zur Schreinerei hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass es sich um Altbestand handelt und die Kläger daher keinen Anspruch auf Beseitigung der Eingangstür nach § 31 Abs. 4 BauO NRW haben. Eine Anpassung kann insoweit nur nach § 87 Abs. 1 BauO NRW verlangt werden, wenn dies also im Einzelfall wegen der Sicherheit für Leben oder Gesundheit erforderlich ist.
46

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Kommentar zur BauO NRW, Rn. 14 zu § 31 (Stand: April 2001).
47

Eine solche Gefahr ist hier jedoch nicht erkennbar. Der Brandschutzsachverständige des S. -T1. -Kreises C. hat in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 22. Dezember 2005 erklärt, im Hinblick auf eine gedachte Brandsituation halte die Tür in jedem Fall länger Stand als das Dach der Halle; die massive Tür biete daher einen ausreichenden Schutz gegen die Übertragung von Rauch und Feuer. Auch im Ortstermin des Berichterstatters des Senats am 30. Juli 2007 hat der Brandschutzsachverständige keine Bedenken hinsichtlich der Eingangstür geäußert. Zwar machen die Kläger geltend, es stehe letztlich nicht fest, dass die Tür hinreichend fest im Mauerwerk verankert sei. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht der Fall ist, liegen jedoch - auch nach dem Vorbringen der Kläger - nicht vor.
48

Die streitige, unmittelbar an der Grenze zum klägerischen Grundstück erfolgte Aufstockung des Vorbaus zum Schreinereigebäude verletzt auch nicht die nachbarschützende Vorschrift des § 6 BauO NRW. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b BauO NRW a.F./n.F. gegenüber der Grundstücksgrenze keine Abstandfläche erforderlich war bzw. ist. Der hiergegen gerichtete Einwand der Kläger, diese Vorschrift gelte nur für die Konstellation des seitlichen Anbaus, trifft nicht zu.
49

§ 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b BauO NRW ermöglicht bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen im Übrigen nicht nur die Errichtung eines Gebäudes ohne Grenzabstand an seitlichen, sondern auch an vorderen bzw. rückwärtigen Grundstücksgrenzen. Der Satz 2 des § 6 Abs. 1 BauO NRW regelt den Vorrang des bundesrechtlichen Bauplanungsrechts vor dem Bauordnungsrecht. Bei den in dieser Norm angesprochenen planungsrechtlichen Vorschriften handelt es sich insbesondere um die über die Bauweise in § 22 BauNVO.
50

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. August 2005 - 10 A 3611/03 -, BRS 69 Nr. 91, zu § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BauO NRW a.F.
51

In § 22 Abs. 1 BauNVO ist geregelt, dass im Bebauungsplan die Bauweise als offene oder geschlossene Bauweise festgesetzt werden kann. Die offene und die geschlossene Bauweise beziehen sich allerdings nur auf den seitlich Grenzabstand (vgl. § 22 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 BauNVO). Der Plangeber ist aber nicht auf diese Festsetzungsmöglichkeiten beschränkt. § 22 Abs. 4 Satz 1 BauNVO lässt die Festsetzung einer von Abs. 1 abweichenden Bauweise zu; nach Absatz 4 Satz 2 kann auch festgesetzt werden, inwieweit an die vorderen, rückwärtigen und seitlichen Grundstücksgrenzen herangebaut werden darf oder muss. Die letztgenannte Regelung ist durch Art. 1 Ziff. 22 der 4. Verordnung zur Änderung der Baunutzungsverordnung vom 23. Januar 1990 (BGBl. I S. 127 [131]) angefügt worden. Hierdurch sollte sichergestellt werden, dass bei abweichender Bauweise nicht nur auf den seitlichen Grenzabstand, sondern z.B. auch auf den rückwärtigen Grenzabstand abgestellt werden kann.
52

Vgl. BR-Drs. 354/89, S. 76; OVG NRW, Beschluss vom 30. September 2005 - 10 B 972/05 -, BRS 69 Nr. 96.
53

Festsetzungen in einem Bebauungsplan zur Bauweise können daher auch die Errichtung von Gebäuden ohne Grenzabstand an der vorderen bzw. rückwärtigen Grundstücksgrenze regeln. Entsprechendes gilt für den hier gegebenen Fall des unbeplanten Innenbereichs (§ 34 Abs. 1 BauGB). An die Stelle der Festsetzungen des Bebauungsplans tritt die vorhandene Umgebungsbebauung. Es ist dann zu prüfen, ob sich in der für die Beurteilung der Bauweise maßgeblichen näheren Umgebung Gebäude befinden, die an die rückwärtige bzw. - bei einem Grundstück in 2. Reihe - vordere Grundstücksgrenze angebaut sind und die zur Folge haben, dass die Eigenart der näheren Umgebung (auch) durch eine abweichende Bauweise geprägt wird.
54

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. September 2005 - 10 B 972/05 -, BRS 69 Nr. 96.
55

Dies ist hier der Fall. Nach dem dem Senat vorliegenden Bild- und Kartenmaterial wird die maßgebliche nähere Umgebung der streitigen baulichen Anlage, insbesondere also der Bereich entlang der L.-----straße, nicht durch eine einheitliche - geschlossene oder offene - Bauweise geprägt. Es liegt eine hinsichtlich der Bauweise uneinheitliche Bebauung vor. Bei den teilweise eher schmalen Grundstücken an der L.-----straße ist seitlich sowohl offene als auch geschlossene Bebauung festzustellen. Entsprechendes gilt für die rückwärtigen Grundstücksgrenzen. Die Grundstücke sind teilweise eher kurz und nahezu vollständig, also auch bis zur rückwärtigen Grundstücksgrenze überbaut (etwa Gemarkung T. , Flur 22, Flurstücke 63 [L1. . 61/63] und 9 [L1. . 22], sowie Flur 23, Flurstücke 58 [L1. . 39] und 63 [L1. . 35]). Dies gilt auch für das Grundstück der Kläger, welches abgesehen von dem Innenhof nahezu vollständig und insbesondere an der straßenabgewandten, rückwärtigen Seite zum Grundstück des Beigeladenen grenzständig bebaut ist. Bei dem hier hinsichtlich der Bauweise sich aus der Umgebung ergebenden Rahmen ist daher auch an der rückwärtigen Grundstücksgrenze - wie hier zwischen den Grundstücken der Kläger und des Beigeladenen - planungsrechtlich nach § 34 Abs. 1 BauGB eine Bebauung ohne Grenzabstand zulässig.
56

Die nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b BauO NRW erforderliche Sicherung ist ebenfalls gegeben. Zwar ersetzt ein auf dem Nachbargrundstück - hier also auf dem Grundstück der Beigeladenen - vorhandenes grenzständiges Gebäude, von dessen Fortbestand - wie hier - ausgegangen werden kann, eine solche Sicherung nur insoweit, als das Neubauvorhaben innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche errichtet werden soll.
57

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Juli 2003 - 10 B 1057/03 -, BRS 66 Nr. 128, und Urteil vom 13. Dezember 1995 - 7 A 159/94 -, BRS 57 Nr. 137.
58

Dabei kommt es im Rahmen des § 6 BauO NRW aber nur darauf an, ob sich das Vorhaben in dem abstandflächenrechtlich zum Nachbargrundstück relevanten Bereich (vgl. insbesondere § 6 Abs. 5 und 6 BauO NRW) innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche hält. Rechtlich unerheblich ist daher die Frage, ob dies für das Schreinereigebäude in seiner gesamten Tiefe der Fall ist. Zum Grundstück der Kläger hin hält sich das Schreinereigebäude aber nach dem vorliegenden Kartenmaterial jedenfalls noch innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche. So entspricht die Bebauungstiefe in diesem Bereich etwa der Bebauung auf den Flurstücken 10 und 15 (L1. . 24 und 36).
59

Ob die grenzständigen Bauten auf dem Grundstück des Beigeladenen und der Kläger hinsichtlich Höhe und Breite bzw. Tiefenerstreckung weitgehend deckungsgleich sind, ist rechtlich unerheblich. Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b BauO NRW muss lediglich gesichert sein, dass - was hier der Fall ist - auf dem Nachbargrundstück ohne Grenzabstand gebaut wird bzw. ist. Ein "An"bau ist dagegen - anders als noch nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW 1984 - nicht erforderlich.
60

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. Dezember 1995 - 7 A 159/94 -, BRS 57 Nr. 137, und Beschluss vom 17. Februar 2000 - 7 B 178/00 -, BRS 63 Nr. 137.
61

Ein Anspruch auf Beseitigung bzw. Nutzungsuntersagung ergibt sich für die Kläger schließlich nicht wegen der bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit des Betriebs des Beigeladenen. Insoweit kann auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils verwiesen werden. Anhaltspunkte dafür, dass sich die betrieblichen Aktivitäten in der Schreinerei des Beigeladenen seit dem Erwerb des Flurstücks 80/13 durch die Kläger in einem Umfang ausgeweitet haben, mit dem diese nicht rechnen mussten, liegen nicht vor. Der Beigeladene hat vielmehr im Ortstermin des Berichterstatters des Senats angegeben, derzeit keinen Mitarbeiter zu beschäftigen; lediglich seine Söhne würden ihm ab und zu aushelfen. Von daher liegt derzeit eine Reduzierung des Betriebsgeschehens näher als dessen Ausweitung.
62

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO.
63

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.
64

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.



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