Tor ohne Schlüssel - OLG Köln, 11 U 229/05

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Klaus
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Tor ohne Schlüssel - OLG Köln, 11 U 229/05

Beitrag von Klaus »

Datum: 28.06.2006
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper: 11. Zivilsenat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 11 U 229/05
Vorinstanz: Landgericht Köln, 7 O 601/04
Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 30.11.2005 (7 O 601/04) dahin abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, die uneingeschränkte Nutzung des Geh- und Fahrrechts auf dem Grundstück I-Straße 25 in M (Gemarkung I2, Flur 5, Flurstücke 336) zu dulden und dem Kläger einen Schlüssel für die an der I-Straße angebrachte Schranke zu überlassen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:
1

I.
2

Der Kläger nimmt die Beklagte als Erbe seiner Großmutter auf Duldung eines Geh- und Fahrrechts in Anspruch. Die Großmutter des Klägers war Eigentümerin des zusammenhängenden Grundbesitzes in M, S-Straße 54 und 56 sowie I-Straße 225, bestehend aus den Flurstücken 232 und 233. Auf dem Grundstück S-Straße 54 befindet sich an der S-Straße ein grenzständiges Wohngebäude mit rückwärtigen grenzständigen Nebengebäuden und einem dazwischen liegenden Innenhof, der nur durch eine Toreinfahrt von der I-Straße zu erreichen war. Mit notariellem Kaufvertrag vom 14.06.1988 veräußerte die Großmutter des Klägers den zur I-Straße gelegenen Grundstücksteil (Flurstück 336) an die Beklagte, den zur S-Straße gelegenen Grundstücksteil (Flurstücke 370 und 371) veräußerte sie nicht. Der Kaufvertrag enthält in Ziffer III. 6. folgende Bestimmung:
3

"Das Tor an der Durchfahrt zum Grundstück S-Straße 54 muss erhalten bleiben (Hochwasserfluchtweg). Erwerberin bestellt hiermit dem jeweiligen Eigentümer der nicht verkauften Restfläche der Parzelle 232 und der Parzelle 233 an der hier verkauften Teilfläche eine Grunddienstbarkeit - Geh- und Fahrrecht -, um von den herrschenden Grundstücken über das in dieser Urkunde verkaufte Grundstück zur I-Straße und umgekehrt zu gehen und zu fahren."
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Aufgrund der Eintragungsbewilligung vom 21.08.1996 wurde zu Lasten des Grundstücks der Beklagten zu Gunsten der Eigentümer des Grundstücks der Kläger eine Grunddienstbarkeit eingetragen. Die Eintragung vom 01.10.1996 bezieht sich auf die Eintragungsbewilligung vom 21.08.1996, diese auf den notariellen Kaufvertrag vom 14.06.1988.
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Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung von Zeugen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Duldung der uneingeschränkten Nutzung des Geh- und Fahrrechts zu, da die Beweisaufnahme ergeben habe, dass die Grunddienstbarkeit auf eine Nutzung als Hochwasserfluchtweg beschränkt sei.
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Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klagebegehren in vollem Umfange fort. Er rügt, das Landgericht habe die Eintragung des Geh- und Fahrrechts im Grundbuch unzutreffend ausgelegt; bei Anwendung der zutreffenden Auslegungsmaßstäbe ergebe sich, dass das Recht unbeschränkt eingeräumt sei.
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Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil sowie die Schriftsätze der Parteien und die sonstigen zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.
8

II.
9

Die zulässige Berufung ist begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch unabhängig vom Ergebnis der Beweisaufnahme zu. Das Landgericht hat die für die Auslegung des Inhalts der Dienstbarkeit geltenden Auslegungsgrundsätze verkannt. Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist für die Auslegung von Dienstbarkeiten entscheidend auf die Grundbucheintragung abzustellen. Maßgebend ist dabei vorrangig der Wortlaut und Sinn der Grundbucheintragung und der darin in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt. Umstände außerhalb dieser Urkunde dürfen nur insoweit mit herangezogen werden, als sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (vgl. etwa BGHZ 92, 351, 355 = NJW 1985, 385, 386; NJW-RR 1991, 457; NJW-RR 2003, 1235 f. = Rechtspfleger 2003, 412; Falckenberg in: MünchKomm, BGB, 4. Aufl., § 1018 Rdnr. 16 ff.; Staudinger/Mayer, BGB, Bearbeitung 2002, § 1018 Rdnr. 137 ff.; Palandt/Bassenge; BGB, 65. Aufl., §§ 1018 Rdn. 10, 14; § 873 Rdn. 10, 14 jew. m.w.N.). Dabei müssen die Entstehungsgeschichte des dinglichen Vertrages über die Bestellung der Dienstbarkeit und etwaige Schriftwechsel der Parteien unberücksichtigt bleiben. Herangezogen werden können dagegen der zu Grunde liegende Kausalvertrag, soweit dieser nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Beurkundungsgesetz Inhalt der Eintragungsbewilligung geworden ist (vgl. Falckenberg a.a.O., Rdnr. 17; Staudinger/Mayer a.a.O. Rdn. 138 m.w.N.). Zu den allgemein erkennbaren Umständen außerhalb des Grundbuchs gehören weiter die Verhältnisse beider Grundstücke, insbesondere die Lage und Verwendungsart des herrschenden Grundstückes, sowie bei nicht eindeutigem Wortlaut der Dienstbarkeit die tatsächliche Handhabung des Rechts (Falckenberg a.a.O. Rdnr. 17; Staudinger/Mayer a.a.O. Rdn 138 jew. m.w.N.).
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Nach diesen Maßstäben kommt es zunächst auf den Wortlaut der Grundbucheintragung und der über die Eintragungsbewilligung vom 21.06.1996 in Bezug genommenen Bestimmung in Ziffer III Nr. 6 des Kaufvertrages vom 14.06.1988 an. Das Landgericht meint, bereits der Wortlaut des notariellen Vertrages ergebe eine Einschränkung des Geh- und Fahrrechts auf einen Hochwasserfluchtweg, da die Klausel in Ziffer III. 6. als Zweck der Erhaltung des Tores als Durchfahrt zum Grundstück S-Straße 54 ausdrücklich den Hochwasserfluchtweg nenne. Die unstreitig nachträgliche Einfügung von Satz 2 der Ziffer III. 6. des Vertrages belege, dass dieser nur im Zusammenhang mit Satz 1 ausgelegt werden könne. Dem ist nicht zu folgen. Der letztere, die Entstehungsgeschichte des Vertrages betreffende Gesichtspunkt ist nach den dargelegten Auslegungsgrundsätzen unbeachtlich. Auch der Wortlaut des Vertrages trägt die einschränkende Auslegung des Geh- und Fahrrechtes nicht. Ist der Inhalt eines auf Dauer eingeräumten Wegerechtes nach dem Wortlaut der Grundbucheintragung oder der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung ohne Einschränkung als Recht zum Gehen und Fahren beschrieben, so bedarf es eindeutiger Anhaltspunkte, um annehmen zu können, das Wegerecht sei auf die Benutzung zu einem bestimmten Zweck beschränkt (BGHZ 92, 351 = NJW 1985, 385). Dem Klammerzusatz in Ziffer III Nr. 6 des Vertrages ("Hochwasserfluchtweg") ist nicht eindeutig zu entnehmen, dass das Geh- und Fahrrecht auf die Nutzung als Hochwasserfluchtweg eingeschränkt ist. Für einen unbefangenen Betrachter liegt die Deutung mindestens ebenso nahe, dass mit dem Klammerzusatz der Weg lediglich bezeichnet werden soll. Satz 2 der Klausel, in dem das Geh- und Fahrrecht bestellt wird, enthält die Einschränkung nämlich gerade nicht. Die Beklagte ist zudem dem Vortrag des Klägers nicht entgegengetreten, dass zu Lebzeiten der Erblasserin das Geh- und Fahrrecht uneingeschränkt ausgeübt worden sei. Unstreitig ist jedenfalls, dass die Beklagte in der Vergangenheit nicht auf einer Beschränkung des Geh- und Fahrrechts bestanden hat. Damit ist von einer uneingeschränkten Bestellung der Dienstbarkeit auszugehen.
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Der Kläger ist als Erbe und damit Rechtsnachfolger der Verkäuferin auch nicht aus dem zu Grunde liegenden Kaufvertrag verpflichtet, eine Einschränkung der Dienstbarkeit hinzunehmen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann zwar neben der Dienstbarkeit eine schuldrechtliche Vereinbarung getroffen werden, durch die ein gegenüber der Dienstbarkeit beschränktes obligatorisches Nutzungsrecht begründet wird. Eine derartige Regelung stellt jedoch einen Ausnahmefall dar und bedarf einer zweifelsfreien, in der Regel ausdrücklichen Abrede (vgl. BGH NJW-RR 1991, 457, 458 m.w.N.). Diese hat die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte jedoch nicht dargetan. Ihr Vortrag beschränkt sich auf Ausführungen dazu, zu welchem Zwecke die Dienstbarkeit eingetragen worden und ob sie über den Zweck der Nutzung bei Hochwasser hinaus für den Kläger erforderlich sei. Aus derartigen Zweckvorstellungen allein lässt sich aber nicht entnehmen, dass ein aus einer uneingeschränkten Eintragung der Grunddienstbarkeit entspringendes dingliches Nutzungsrecht durch den Kaufvertrag schuldrechtlich eingeschränkt werden sollte. Dafür hätte die Beklagte dartun müssen, dass es ihr auf die Einschränkung des Nutzungsrechtes angekommen sei und dass sie dies der Verkäuferin bei Abschluss des Kaufvertrages zu erkennen gegeben hat (§§ 133, 157 BGB). An einem derartigen Vortrag fehlt es. Auch die Zeugenaussagen und die zu den Akten gereichten Stellungnahmen des Notars Dr. H sind insoweit unergiebig.
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Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 23.5.2006 gibt zu einer anderen Beurteilung keinen Anlass.
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III.
14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
15

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die dafür nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
16

Berufungsstreitwert: 10.000,00 €.
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