Landgericht Nürnberg - Fürth, Urteil vom 20.01.2000, Az. 1 O 10086/96

Voraussetzungen und Grenzen eines Notleitungsrechtes

Endurteil


Der Beklagte hat zu dulden, dass die Kläger auf seinem Grundstück ... im Rahmen eines Notleitungsrechtes im Bereich des zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks ... bestehenden Geh- und Fahrtrechtes (3 m breiter Streifen an der Nordgrenze des Grundstücks Fl.Nr. ....) eine Schmutzwasserentwässerungsleitung zum Zwecke des ordnungsgemäßen Anschlusses ihres Grundstücks ... an das Kanalnetz der Stadt F. herstellen.

Das Benutzungsrecht der Kläger besteht in dem Umfang, in dem die Herstellung einer solchen Entwässerungsleitung technisch notwendig ist, um das auf dem klägerischen Grundstück ... bestehende Haus im Rahmen des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes in zulässiger, öffentlich-rechtlich genehmigungsfähiger Weise heutigen Wohnverhältnissen anzupassen und zu sanieren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.



Tatbestand

Die Parteien sind Nachbarn. Die Kläger sind Miteigentümer des Grundstücks Fl.Nr. ... der Gemarkung D., Z-Straße ... in F. Der Beklagte ist Eigentümer des westlich angrenzenden Grundstücks Fl.Nr. ..., Z-Straße ... Ursprünglich waren beide Grundstücke vereint. Durch einen Rechtsvorgänger des Beklagten wurde das klägerische Grundstück aus der Fl.Nr. ... herausgemessen und abgetrennt verkauft. Hierdurch verlor es den unmittelbaren Zugang zur Z- Straße. Um diesen zu ermöglichen, wurde gemäß Ziffer XII der Urkunde des Notars Dr. S. vom 12.3.1952, URNr. ..., zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks Fl.Nr. ... und zu Lasten des Grundstücks Fl.Nr. ... das unentgeltliche und unbeschränkte Geh- und Fahrtrecht auf einem 3 m breiten Streifen an der nördlichen Seite des Grundstücks Fl.Nr. ... eingeräumt. ... Das klägerische Grundstück hat bisher keinen neuen Zugang zu einer öffentlichen Straße erhalten. Es liegt in der engeren Schutzzone der Wasserfassungsanlagen der Stadt F. und ist mit einem seit 7 Jahren unbewohnten Einfamilienhaus aus dem Jahre 1952 bebaut. Es verfügt derzeit über eine Sickergrube mit einem Volumen von 1 m³ und ist nicht an das öffentliche Kanalnetz angeschlossen.

...

Die Kläger tragen (u.a.) vor, sie beabsichtigten, das Haus auf ihrem Grundstück durch den Anbau eines Kniestocks im Dach, eine Änderung des Dachstuhls und den Anbau von zwei Garagen heutigen Wohnverhältnissen anzupassen. Die vorhandene Sickergrube reiche bei der beabsichtigten Änderung in eine Wohnnutzung nicht mehr aus. Die Stadt F. verweigere jedoch die Zustimmung zu der Sanierung, solange kein Anschluss an die städtische Kanalisation erfolge. Der Anschluss an das öffentliche Kanalnetz sei nur über das für sie fremde Grundstück des Beklagten möglich. Daher verlange die Stadt F. eine dingliche, grundbuchliche Absicherung in Form einer Grunddienstbarkeit, da die Nutzung des Zwischengrundstücks dauernd gesichert sein müsse. Eine Leitungsführung über das Grundstück des Beklagten entlang der Südgrenze sei die günstigste und die am wenigsten beeinträchtigende Ausführungsvariante. Denn dort liege bereits die Wasserleitung, über die auch ihre Versorgung erfolge. Hilfsweise komme auch eine Leitungsführung im Bereich des bestehenden Geh- und Fahrtrechtes an der Nordgrenze des Grundstücks des Beklagten in Betracht.



Nach dem Beitritt der Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung vom 16.4.1999 beantragen die Kläger nunmehr (u.a.):

III. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern folgendes Notleitungsrecht zu bewilligen:

1.

Der Beklagte - nachstehend Verpflichteter genannt - bewilligt und beantragt die Eintragung eines Notleitungsrechts als Dienstbarkeit im Grundbuch, bezogen auf eine Entwässerungsleitung (Schmutz- und Regenwasser) auf seinem Grundstück, vorgetragen beim Amtsgericht F. für D., Band ..., Blatt ..., Fl.Nr. ..., Z-Straße ..., zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des Nachbargrundstücks der Gemarkung D., Fl.Nr. ..., Z-Straße ...

2.

Schuldrechtlich vereinbaren die Parteien, dass der Entwässerungskanal in technisch notwendiger, von der Stadt F., Tiefbauamt, festzusetzender Tiefe und in von dort festzusetzender Art, gegebenenfalls unter Anlegung von Revisionsschächten oder Druckanlagen, hergestellt wird und zwar hauptsächlich an der südlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks des Beklagten, Fl.Nr. ...,

hilfsweise,

auf der Fläche des bestehenden Geh- und Fahrtrechts, also im Verlaufe der Nordseite des Grundstücks, Fl.Nr. ... an der Grenze zum Nachbargrundstück hin.

IV. Hilfsweise zu Ziff. III:

Der Beklagte hat es zu dulden, dass die Kläger an den in Ziff. III genannten Stellen, haupt- und hilfsweise, eine Entwässerungsleitung (Schmutz- und Regenwasser) in technisch notwendiger, von der Stadt F., Tiefbauamt, festzusetzender Tiefe und in von dort festzusetzender Art herstellen.



Der Beklagte beantragt

Klageabweisung.



Er ist der Ansicht, ein Anspruch auf dingliche Absicherung eines Notleitungsrechtes bestehe von vornherein nicht. Die Kläger würden mit ihren Anträgen III. und IV. unzulässigerweise eine Blankozustimmung zu einer Leitungsführung ohne Planung fordern. Die Anträge seien unsubstanziiert. Es sei unklar, wo die Leitung verlaufen und wie sie technisch ausgestattet sein solle. Es sei auch unklar, ob die beabsichtigte Nutzung des klägerischen Grundstücks von der Stadt F. überhaupt zugelassen werde. Die Stadt bestehe auf einem Anschluss an das öffentliche Kanalnetz nur wegen der geplanten Erweiterung der Wohnnutzung. Für solche baulichen Erweiterungsüberlegungen der Kläger habe er nicht einzutreten. Eine Leitungsführung entlang der Südgrenze seines Grundstücks sei unzumutbar, da hierdurch sein Grundbesitz mit einem zusätzlichen Geh- und Betretungsrecht der Kläger beeinträchtigt werden würde. Eine Leitungsführung entlang der Nordgrenze seines Grundstücks sei nicht die kostengünstigste Variante. Vielmehr gebe es darüber hinaus noch drei weitere Anschlussvarianten mit einer Leitungsführung über andere Nachbargrundstücke. Im Übrigen mache er ein Zurückbehaltungsrecht geltend. Die Kläger hätten keine finanzielle Absicherung für Schäden angeboten, die durch Baumaßnahmen auf seinem Grundstück und in seinem Betrieb (Lagerung von Material und Gerät während der Bauzeit) eintreten könnten. Es liege auch kein Vorschlag der Kläger zur Aufrechterhaltung seines Betriebes einschließlich der einzigen Zufahrtsmöglichkeit während der Bauarbeiten vor.





Entscheidungsgründe



Die zulässige Klage ist nur hinsichtlich des Hilfsantrags IV teilweise begründet.



I.

Haupt- und Hilfsantrag sind unbegründet. Es gibt keinen zivilrechtlichen Anspruch auf Einräumung einer Grunddienstbarkeit für ein Notleitungsrecht.

Wenn einem Grundstück die notwendige Verbindung zum öffentlichen Kanalnetz fehlt und - wie in Bayern - besondere landesrechtliche Regelungen fehlen, kommt für die Eigentümer des Hinterliegergrundstücks nur die Geltendmachung eines Notleitungsrechtes analog den §§ 917, 918 BGB in Betracht (BGH NJW 1991, S. 176; BGH NJW 1981, S. 1036, 1037; OVG Berlin BRS 16, S. 140; OLG Düsseldorf AgrarR 1984, S. 20; OLG Hamm NJW-RR 1992, S. 723; Palandt-Bassenge, BGB, Kommentar, 59. Aufl., § 917/Rdnr. 1; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern, 7.Aufl., 1986, § 25/Rdnr. 53, S. 387; Dehner, Nachbarrecht im Bundesgebiet, 6. Aufl. 1982, S. 604; Bayer/Lindner/Grziwotz, Bayer. Nachbarrecht, 2. Aufl., 1994, S. 137, 138; MüKo-Säcker, BGB, Kommentar, 2. Aufl. 1986, § 917/Rdnr. 37). Für die Kläger kann daher analog den §§ 917 Abs. 1, 918 Abs. 2 S. 1 BGB nur ein schuldrechtlicher Anspruch auf Duldung einer Notleitung über das Grundstück des Beklagten bestehen. Diese gesetzlich festgelegte Duldungspflicht kann nicht Inhalt einer Grunddienstbarkeit sein. Ein solches Notleitungsrecht kann nicht ins Grundbuch eingetragen werden (Meisner/Ring/Götz, a.a.O., § 25/Rdnr. 35 u. 50, S. 380 u. 386; OVG Berlin BRS 16, S. 140).



II.

Der Hilfsantrag ist teilweise begründet. Den Klägern steht gegen den Beklagten analog den §§ 917 Abs. 1, 918 Abs. 2 S. 1 BGB der Anspruch zu, die Herstellung einer Schmutzwasserentwässerungsleitung zum Zwecke des ordnungsgemäßen Anschlusses ihres Grundstücks an das öffentliche Kanalnetz auf der Fläche des bestehenden Geh- und Fahrtrechtes zu dulden.



A.

Der Klageantrag ist ausreichend substanziiert und damit zulässig. Wenn das Notleitungsrecht vom Nachbarn grundsätzlich bestritten wird, müssen in der Klage hinsichtlich des Umfangs dieses Rechts, also vor allem zur Frage, in welchem Ausmaß es ausgeübt werden soll, keine exakten Angaben gemacht werden (BGH NJW 1991, S. 176; Meisner/Ring/Götz, a.a.O., § 25/Rdnr. 21, S. 373; Bayer/Lindner/Grziwotz, a.a.O., S. 134; Palandt-Bassenge, a.a.O., § 917 BGB/Rdnr. 13). Insbesondere muss der Kläger nicht erst für das beabsichtigte Bauvorhaben ein öffentlich-rechtliches Genehmigungsverfahren betrieben haben oder mit erheblichem Kostenaufwand einen konkreten Bauplan erstellen lassen. Er kann zulässigerweise zunächst ein benötigtes Leitungsrecht erstreiten (BGH NJW 1991, S. 176; Koch/Molodovsky/Famers, Bay. Bauordnung, Komm., Loseblatt, Stand 1998, Art. 4 BayBo/Anm. 7.4.3). Dies ist auch sinnvoll. Denn für die Zulassung eines Bauvorhabens ist öffentlich-rechtlich Voraussetzung, dass die Erschließung gesichert ist. Und diese ist gerade dann gesichert, wenn dem Bauherrn jedenfalls ein Notleitungsrecht analog den §§ 917 Abs. 1, 918 Abs. 2 S. 1 BGB zusteht.



B.

Hinsichtlich einer Regenwasserentwässerungsleitung besteht ein solcher Duldungsanspruch der Kläger nicht, da insoweit kein Notfall im Sinne des § 917 Abs. 1 BGB vorliegt. Denn die öffentliche Entwässerungsanlage in der Z-Straße in F. ist als Trennsystem konzipiert. Dies bedeutet, dass das Abwasser getrennt nach Regenwasser und Schmutzwasser entsorgt werden muss. Regenwasser soll jedoch nicht in die Kanalisation geleitet, sondern oberflächlich innerhalb des Grundstücks zur Versickerung gebracht werden. Dies ist auf dem klägerischen Grundstück ohne weiteres möglich, da der Untergrund aus Sand besteht. Dies ergibt sich aus den eindeutigen und in jeder Hinsicht nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen H. in seinem Gutachten vom 25.1.1999 ...



C.

Die Voraussetzungen für ein Notleitungsrecht analog den §§ 917 Abs. 1, 918 Abs. 2 S. 1 BGB zu Gunsten der Kläger liegen vor. Ihrem Grundstück fehlt unstreitig eine direkte Verbindung zum öffentlichen Kanalnetz. Diese Verbindung ist jedoch für die von den Klägern beabsichtigte ordnungsgemäße Wohnnutzung notwendig.



1.

Ob einem Grundstück die zur ordnungsgemäßen Nutzung notwendige Verbindung nach außen fehlt, bestimmt sich nach objektiven Gesichtspunkten, an die ein strenger Maßstab anzulegen ist, nämlich nach den Bedürfnissen einer praktischen Wirtschaft, nach der Benutzungsart und der Größe des Grundstücks, nach seiner Umgebung und nach den sonstigen Umständen des Einzelfalles. Es kommt nicht nur auf die bisherige Benutzung an, sondern auch darauf, ob überhaupt eine ordnungsmäßige Benutzung, die die Notleitung erforderlich erscheinen lässt, in Betracht kommt. Ausschlaggebend ist dabei, ob die geplante Benutzung den wirtschaftlichen Bedürfnissen mit Rücksicht auf die Beschaffenheit des Grundstücks entspricht. Als nicht mehr ordnungsgemäß erweist sich eine Änderung dann, wenn sie sich nur an den persönlichen Interessen und Bedürfnissen des Eigentümers orientiert (OLG Köln BauR 1986, S. 727; Dehner, a.a.O., S. 585, 586; Palandt-Bassenge, a.a.O., § 917/Rdnr. 4).

Nach diesen Grundsätzen kann kein Zweifel daran bestehen, dass die von den Klägern beabsichtigte Wohnnutzung eine ordnungsgemäße Benutzung ihres Grundstücks darstellt. Es besteht hier die Besonderheit, dass ihr Grundstück seit 1952 mit einem Einfamlienhaus bebaut ist und damit die Wohnnutzung verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz gemäß Art. 14 GG genießt. Dieser ist nicht dadurch entfallen, dass das Haus seit Jahren tatsächlich nicht bewohnt wird. Ursache dafür ist, dass das Haus mit den vorhandenen Sanitäreinrichtungen einschließlich Sickergrube nicht mehr zeitgemäß genutzt werden kann. Wenn die Kläger daher diese Einrichtungen dem heutigen allgemeinen Lebensstandard und den Anforderungen der Zeit anpassen wollen, bedeutet dies lediglich die Fortsetzung der bisherigen Benutzung unter Inanspruchnahme des Bestandsschutzes. Die beabsichtigte Wohnnutzung ist daher weder wirtschaftlich unsinnig noch orientiert sie sich ausschließlich an nicht schützenswerten Individualbedürfnissen der Kläger. Sie ist in jeder Hinsicht und vor allem im Hinblick auf Art. 14 GG objektiv ordnungsgemäß (Dehner a.a.O., S. 586).



2.

Ein Notleitungsrecht entsteht nur im Rahmen einer zulässigen Nutzung des verbindungslosen Grundstücks. Im Falle einer beabsichtigten Bebauung genügt dazu, dass das Grundstück materiell-rechtlich bebaubar ist (BGH NJW 1991, S. 176).

Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit, dass das Grundstück der Klägerin bereits mit einem Haus bebaut ist und sie lediglich eine Sanierung zur Anpassung an heutige Wohnverhältnisse beabsichtigen. Im Hinblick auf den bestehenden verfassungsrechtlichen Bestandsschutz nach Art. 14 GG ist klar, dass jedenfalls der Einbau von heutigen Lebensverhältnissen entsprechenden Sanitäreinrichtungen zulässig ist. Das ist bereits ausreichend. Auf weitere Einzelheiten der geplanten Sanierung kommt es im Rahmen der vorliegenden Klage nicht an.



3.

Zur zeitgemäßen Nutzung des klägerischen Wohnhauses ist ein Anschluss des Anwesens an die städtische Kanalisation über einen Schmutzwasserentwässerungskanal notwendig.

Aus den amtlichen Auskünften der Stadt F. vom 16.6.1998 und vom 22.3.1999 ergibt sich eindeutig, dass die Beibehaltung der vorhandenen Sickergrube wasserwirtschaftlich auch unter dem Gesichtspunkt des Bestandsschutzes selbst dann nicht mehr vertretbar ist, wenn die Gebäudesubstanz ansonsten nicht vergrößert wird. Jede Sanierung der Sanitäranlagen stellt bereits eine Erweiterung im Sinne der wasserwirtschaftlichen Vorschriften dar und macht eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 4 der Schutzgebietsverordnung der Stadt F. erforderlich. Eine solche wird nur erteilt, wenn das auf dem klägerischen Grundstück anfallende Schmutzwasser in die städtische Kanalisation entsorgt wird. Damit ist klar: Die Erforderlichkeit eines Kanalanschlusses beruht nicht etwa auf nicht schützenswerten baulichen Erweiterungsüberlegungen der Kläger. Sie besteht schon und gerade deshalb, wenn die Kläger ihr Haus überhaupt zu Wohnzwecken mit zeitgemäßen Sanitäreinrichtungen nutzen wollen, worauf sie nach Art. 14 GG einen Anspruch haben.



4.

Eine zivilrechtlich nicht einklagbare dingliche Absicherung des Leitungsführungsrechts ist für die beabsichtigte Wohnnutzung der Kläger nicht erforderlich. Eine solche kann und wird die Stadt F. von den Klägern nicht verlangen, wenn sie sich nicht schadensersatzpflichtig machen will. Ein Notleitungsrecht analog den §§ 917 Abs. 1, 918 Abs. 2 S. 1 BGB ist ausreichend. Wird nämlich durch eine Grundstücksteilung einem bebauten Hinterliegergrundstück die Möglichkeit der Anschlussnahme an eine öffentliche Entwässerungseinrichtung genommen, steht bei der Beurteilung der auf Dauer gesicherten Anschlussmöglichkeit die Duldungspflicht des Eigentümers des Vorderliegergrundstücks nach § 918 Abs. 2 S. 1 BGB einem dinglich gesicherten Leitungsrecht gleich (BGH NJW 1991, S. 176; BayVGH VGHE BY 50, 176; BayVGH BayVBl 1991, S. 627; OVG Berlin BRS 16, S. 140). Würde man die beabsichtigte Wohnnutzung nur dann für zulässig erachten, wenn das Leitungsrecht dinglich gesichert ist, läge ein Verstoß gegen Art. 14 GG vor. Die Kläger haben gegen den Beklagten keinen zivilrechtlichen Anspruch auf Einräumung einer Grunddienstbarkeit. Sie können lediglich analog den §§ 917, 918 BGB eine schuldrechtliche Duldungsverpflichtung einklagen. Dieses Notleitungsrecht dient gerade dazu, den leitungsmäßigen Anschluss an das Entsorgungsnetz zu gewährleisten und muss daher ausreichend sein (BGH NJW 1991, S. 176).



5.

Ein Notleitungsrecht der Kläger besteht nur dann, wenn für sie überhaupt die Möglichkeit besteht, sich bei einer Leitungsführung über das Grundstück des Beklagten an die öffentliche Kanalisation anzuschließen (OLG Hamm NJW-RR 1992, S. 723).

Der Anschluss einer über das Grundstück des Beklagten im Bereich des bestehenden Geh- und Fahrtrechts geführten Entwässerungsleitung an die städtische Kanalisation ist in technisch zulässiger und genehmigungsfähiger Weise herstellbar. Dies ergibt sich in nachvollziehbarer Weise aus den Feststellungen des Sachverständigen H. in seinen schriftlichen Gutachten und aus seinen Ausführungen bei der mündlichen Anhörung.



6.

Ein Ausschlussgrund im Sinne des § 918 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.





D.

Der Beklagte hat als Eigentümer des Vorderliegergrundstücks Z-Straße 55 die Führung der Schmutzwasserentwässerungsleitung über sein Grundstück im Bereich des bestehenden Geh- und Fahrtrechts zu dulden, §§ 917 Abs. 1 S. 2, 918 Abs. 2 S. 1 BGB.



1.

Als Verpflichteter des Notleitungsrechts der Kläger kommt ausschließlich der Beklagte als Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. ... in Betracht.

Das Fehlen einer Verbindung des klägerischen Grundstücks zum öffentlichen Kanalnetz ist die Folge der Abtrennung eines Grundstücksteiles. Das klägerische Grundstück gehörte zunächst zur Fl.Nr. ... und wurde dann von einem Rechtsvorgänger des Beklagten abgetrennt und verkauft. In diesem Fall ist gemäß § 918 Abs. 2 S. 1 BGB der Kreis der Pflichtigen eingeschränkt. Es besteht kein Anspruch gegen die bisherigen Nachbarn. Die Duldungspflicht obliegt ausschließlich dem Eigentümer der Grundstücksfläche, über die bisher die Verbindung stattfand. An diese Rechtslage sind auch die künftigen Eigentümer der beiden betroffenen Grundstücke Fl.Nr. ... und ... gebunden (Meisner/Ring/Götz, a.a.O., § 25/Rdnr. 28, S. 376, 377; MüKo-Säcker, a.a.O., § 917 BGB/Rdnr. 28; Dehner, a.a.O., S. 597; Palandt-Bassenge, a.a.O., § 918 BGB/Rdnr. 2; BGHZ 53, S. 166). Dies bedeutet zugleich, dass für die Bestimmung der Richtung der Notleitung sämtliche vom Beklagten in den Rechtsstreit eingeführten Anschlussvarianten über sonstige Nachbargrundstücke irrelevant sind.

Eine Ausnahme könnte nur in einem ganz extremen Ausnahmefall nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses in Verbindung mit § 242 BGB eingreifen. Ein solcher wäre nur denkbar, wenn mit der Leitungsführung über sonstige Grundstücke keine nennenswerte Belastung der Nachbarn verbunden wäre und eine solche Trassenführung für die Kläger darüber hinaus mit verhältnismäßig geringen Kosten verbunden wäre. Diese Voraussetzungen liegen gerade nicht vor. Aus dem Gutachten des Sachverständigen H. vom 25.1.1999 ergibt sich, dass bei einer anderweitigen Leitungsführung Nachbargrundstücke in erheblichem Umfang in Anspruch genommen werden müssten. Zudem wären nach den Feststellungen des Sachverständigen in diesem Gutachten bei einer anderweitigen Leitungsführung keine (sowieso nur subsidiär relevanten) entscheidungserheblichen Kosteneinsparungen zu Gunsten der Kläger zu erwarten.



2.

Bestehen, wie hier, zwei Anschlussmöglichkeiten über das Grundstück des Verpflichteten, besteht das Notleitungsrecht auf der Trasse, die für den Nachbarn die geringste Belastung mit sich bringt. Bei der notwendigen Interessenabwägung haben diejenigen des Eigentümers des belasteten Grundstücks Vorrang (MüKo-Säcker, a.a.O., § 917/ Rdnr. 31; Dehner, a.a.O., S. 599; Bayer/Lindner/Grziwotz, a.a.O., S. 134; Meisner/Ring/Götz, a.a.O., § 25/ Rdnr. 27, S. 375, 376).

Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit darin, dass das Grundstück des Beklagten auf einem 3 m breiten Streifen entlang der Nordgrenze sowieso mit einem dinglich abgesicherten Geh- und Fahrtrecht zu Gunsten der Kläger belastet ist. Auf Grund dieser Grunddienstbarkeit kann der Beklagte über diesen Grundstücksteil nicht frei verfügen. Eine derartige Situation ist bei der Interessenabwägung entscheidend zu berücksichtigen (MüKo-Säcker, a.a.O., § 917 BGB/ Rdnr. 30; Meisner/Ring/Götz, a.a.O., § 25/ Rdnr. 27, S. 376). Demgegenüber besteht eine solche Belastung des Beklagtengrundstücks an der Südgrenze gerade nicht. Es mag zwar sein, dass in diesem Bereich eine Wasserleitung verlegt ist, über die auch die Kläger versorgt werden. Da diesbezüglich jedoch kein durch eine Grunddienstbarkeit abgesichertes Leitungsrecht der Kläger besteht, könnte der Beklagte diese Leitung ohne Zustimmung der Kläger ohne weiteres auch über einen anderen Teil seines Grundstücks verlegen, wenn er gerade den südlichen Bereich seines Grundeigentums anderweitig benötigt (vgl. BGH NJW 1981, S. 1036). Ein Notleitungsrecht entlang der Südgrenze würde daher den Beklagten unzumutbar beeinträchtigen.

Die Kläger könnten sich auf ein Notleitungsrecht entlang der Südgrenze des Beklagtengrundstücks allenfalls dann berufen, wenn eine Trassenführung entlang der Nordgrenze unverhältnismäßig hohe Anschlusskosten verursachen würde (Meisner/Ring/Götz, a.a.O., § 25/ Rdnr. 27, S. 376; Dehner, a.a.O, S. 598). Dies ist jedoch nicht der Fall. Nach den Feststellungen des Sachverständigen H. in seinem schriftlichen Gutachten vom 25.1.1999 würden bei einer Leitungsverlegung entlang der Südgrenze des Beklagtengrundstücks Kosten in Höhe von ca. 43.000.-- DM anfallen. Demgegenüber ergibt sich aus den Gesamtausführungen des Sachverständigen, dass bei einer Verlegung entlang der Nordgrenze des Beklagtengrundstücks im ungünstigsten Fall Kosten von ca. 64.000.-- DM anfallen. Diese Mehrkosten sind jedoch bei der Abwägung mit den Interessen des Beklagten für die Kläger nicht unzumutbar. Demgegenüber würde die Zulassung einer Trassenführung entlang der Südgrenze zu einem verhältnismäßig gesehen weitaus höheren Wertverlust des Beklagtengrundstücks führen.



E.

Der Umfang des Benutzungsrechts (§ 917 Abs. 1 S. 2 BGB) richtet sich nach dem Maßstab der Erforderlichkeit. Maßgebend sind insoweit die durch die ordnungsgemäße Benutzung des isolierten Grundstücks hervorgerufenen, objektiv zu beurteilenden tatsächlichen Bedürfnisse einer praktischen Wirtschaft (MüKo-Säcker, a.a.O., § 917/ Rdnr. 36).

Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit, dass die Kläger für die beabsichtigte Wohnnutzung eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 4 der Schutzgebietsverordnung der Stadt F. nur im Rahmen des bestehenden Bestandsschutzes erhalten können. Daher ist objektiv gesehen die Verlegung und Unterhaltung der Schmutzwasserentwässerungsleitung ordnungsgemäß, die zur Herstellung jeder materiell-rechtlich genehmigungsfähigen Sanierung des auf dem Klägergrundstück stehenden Wohnhauses technisch notwendig ist und entsprechend von der Genehmigungsbehörde zulässigerweise gefordert werden kann.



F.

Dem Beklagten steht kein Zurückbehaltungsrecht zu.



1.

Der Beklagte kann seine Zustimmung zur Ausübung des Notleitungsrechts nicht von einer vorherigen Sicherheitsleistung abhängig machen.

Das Bayerische Landesrecht enthält keine dem § 7 e Abs. 3 S. 2 BaWüNRG vergleichbare Spezialregelung für einen solchen Anspruch. Damit sind für das Rechtsverhältnis der Parteien die allgemeinen Regelungen des BGB einschlägig. Zwischen ihnen besteht analog den §§ 917, 918, 1020 S. 1 BGB in Verbindung mit § 242 BGB ein gesetzliches Schuldverhältnis. Bei einer schuldhaften Verletzung von Rücksichtnahmepflichten aus diesem Schuldverhältnis durch die Kläger kann der Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung geltend machen. Einen vorweggenommenen Schadensersatzanspruch in Form einer Sicherheitsleistung sieht das BGB nicht vor. Da somit derzeit kein voll wirksamer und fälliger Gegenanspruch des Beklagten wegen möglicher künftiger Schäden bei der Ausübung des Notleitungsrechts durch die Kläger besteht, kann er gemäß § 273 Abs. 1 BGB insoweit auch kein Zurückbehaltungsrecht geltend machen (Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 273 BGB/Rdnr. 7). Der Beklagte muss seine Duldungspflicht entsprechend dem Sinn und Zweck des § 917 BGB als gesetzliche Beschränkung seines Grundeigentums hinnehmen (Palandt-Bassenge, a.a.O., § 917/Rdnr. 1).

2.

Der Beklagte kann auch hinsichtlich der ihm grundsätzlich zustehenden Notleitungsrente (§ 917 Abs. 2 S. 1 BGB) kein Zurückbehaltungsrecht geltend machen.

Der Beklagte hindert die Kläger bisher vehement an der Ausübung des ihnen zustehenden Notleitungsrechtes. Damit dürfen die Kläger derzeit die Zahlung der Rente verweigern (BGH DNotZ 1977, S. 366; Meisner/Ring/Götz, § 25/Rdnr. 51, S. 387; Dehner, a.a.O., S. 603; Bayer/Lindner/Grziwotz, a.a.O., S. 137). Der Beklagte hat daher hinsichtlich der Rente zum maßgebenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung keinen fälligen Gegenanspruch, den er dem Notleitungsrecht der Kläger gemäß § 273 Abs. 1 BGB entgegenhalten könnte. Dies wäre auch sinnwidrig, da hierdurch ansonsten das gerade den Klägern zustehende Zurückbehaltungsrecht ausgehebelt würde.

Landgericht Nürnberg - Fürth, Urteil vom 20.01.2000, Az. 1 O 10086/96

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